Engel Gertrud ist wieder bei ihrem Alfred

Engel Gertrud schwebt nach einer Spa-Kur wieder auf dem Johannisfriedhof in Dresden-Tolkewitz auf dem Familiengrab von Alfred Roetzschke ein. Foto: Heiko Weckbrodt

Engel Gertrud schwebt nach einer Spa-Kur wieder auf dem Johannisfriedhof in Dresden-Tolkewitz auf dem Familiengrab von Alfred Roetzschke ein. Foto: Heiko Weckbrodt

Sanierungsbedarf an historisch wichtigen Gräbern ist nicht nur auf dem Johannisfriedhof Tolkewitz, sondern in ganz Dresden hoch

Tolkewitz, 20. Mai 2021. Die mit nur 39 Jahren dahingeschiedene engelsgleiche Gertrud ist zu ihrem Alfred zurückgekehrt: Als frischsanierter Marmor-Engel schwebte Gertrud heute mit maschineller Hilfe auf dem Johannisfriedhof in Dresden-Tolkewitz ein und komplettierte damit wieder das Familiengrab des Rittergutbesitzers und Kaufmanns Alfred Roetzschke an der Friedhofs-Südmauer.

Bildhauer Eberlein verewigte die früh Gestorbene als Marmor-Engel

„Roetzschke hatte in Manila ein großes Vermögen gemacht“, erzählt Friedhofsleiterin Beatrice Teichmann. „Er wollte mit dem Engel an seine früh gestorbene erste Ehefrau erinnern.“ Der Bildhauer Gustav Eberlein (1847-1926), der unter anderem auch das Goethe-Denkmal in Rom und das Wagner-Denkmal im Berliner Tiergarten schuf, übernahm den Auftrag. Er kreierte als Andenken an Gertrud Roetzschke (1856-1895) einen 1,3 Tonnen schweren Engel aus Carraramarmor, der hinter einem reich verzierten Sarkophag die Hände gen Himmel streckt und in Auferstehung begriffen ist. Insgesamt kostete die Verzierung der um 1896 fertiggestellten Grabstelle damals stolze 300.000 Mark.

Letzte Handgriffe: Der Marmorengel Gertrud steht wieder auf dem Familiengrab Roetzschke auf dem Johannisfriedhof in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Letzte Handgriffe: Der Marmorengel Gertrud steht wieder auf dem Familiengrab Roetzschke auf dem Johannisfriedhof in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Grabpate verhinderte Gertruds Entflügelung

„Zu DDR-Zeiten war kaum Geld da, um solche aufwendigen Gräber zu restaurieren“, erzählt Beatrice Teichmann. Und so nagte der Zahn der Zeit immer sichtbarer auch an dem Roetzschke-Familiengrab. Um die neue Jahrtausendwende herum drohte dem Engel gar ein Flügel abzufallen. Doch 2001 fand sich ein Grabpate, mit dessen Hilfe zumindest dieser Flügelbruch abgewendet werden konnte. Schließlich bekam die Friedhofsverwalterin auch Geldzusagen von Bund und Land, so dass die gesamte Grabstelle nun für 23.800 Euro saniert werden konnte.

Auch auf diesem Grabmal der Familie Morgenstern findet sich das Motiv des Engels, der die Verstorbene holt. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch auf diesem Grabmal der Familie Morgenstern findet sich das Motiv des Engels, der die Verstorbene holt. Foto: Heiko Weckbrodt

Schon zwei Großgräber aus Geldmangel abgetragen

Eigentlich würde Beatrice Teichmann aber eine halbe Million Euro brauchen, um den Sanierungsstau an den besonders erhaltenswerten Gräbern auf ihrem Totenhain aufzulösen – und das wäre nur der Eigenanteil, um öffentliche Förderer überhaupt um weitere Zuschüsse bitten zu können. „Auf dem Johannisfriedhof haben wir 23 Grabstellen, die als national bedeutsam eingestuft worden sind, und 423 Einzeldenkmale“, zählt sie auf. Und das sind nur die historisch und künstlerisch besonders hoch eingestuften Gräber. Zählt man weitere besonders erhaltenswerte Grabstellen hinzu, bräuchte Teichmann eigentlich rund 700 Paten für jene Gräber, für die es keine pflegenden Angehörige mehr gibt. Teilweise engagieren sich auch Institutionen wie die Technischen Sammlungen Dresden (TSD), die sich mit um das Grab von Kamerafabrikant Heinrich Ernemann kümmern.

Aber in vielen Fällen gibt es keine Angehörigen oder Museen, die sich zuständnig fühlen. Dabei ist der Bedarf groß. „Marmorfiguren können zwar gut und gerne noch eine Million Jahre halten“, erklärt Teichmann. Aber an vielen aufwendig gestalteten Gräbern bröseln die Ziegelfundamente, kippen Metallzäune um, macht sich Unkraut breit. „All das zu erhalten, das können wir allein von unseren Gebühreneinnahmen nicht stemmen“, insistiert Beatrice Teichmann. Inzwischen habe sie die Aufbauten von zwei eigentlich erhaltenswerten Großgräbern abbauen und einlagern müssen, weil das Geld fehlte, um den galoppierenden Zerfall noch aufzuhalten.

Grabstelle der Familie Schaffrath-Petzold auf dem Johannisfriedhof-Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Unterhaltszuschüsse für 236 Gräber – neue Grab-Kommission soll Dunkelziffer klären

Und mit diesen Problemen steht Teichmann nicht allein in Dresden da: „In den letzten Jahren signalisierten die Friedhofsträger vermehrt, dass sie aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Pflege und Instandhaltung dieser Gräber nicht mehr wahrnehmen können“, berichtet die Stadtverwaltung. Die Kommune wie auch die Friedhofsbetreiber in ganz Dresden bezuschussen bereits den Unterhalt von 236 historisch oder künstlerisch besonders wichtigen Grabstellen, deren Familien ausgestorben sind, an denen die Angehörigen kein Interesse mehr haben oder mit der Pflege überfordert sind. Insgesamt müsse aber noch viel mehr getan werden, meinen Umweltbürgermeisterin Eva Jähnigen (Bündnisgrüne) und Stadtgrün-Amtsleiter Detlef Thiel, die beide auch für die Friedhöfe zuständig sind. Sie schätzen die Zahl der besonders erhaltenswerten Grabstellen in Dresden nach Rückmeldungen diverser Friedhofsverwalter sogar auf mindestens 350. Die Bürgermeisterin kündigte an, eine Fachkommission einzuberufen, die für mehr Klarheit sorgt: Die Historiker, Kunsthistoriker und anderen Experten sollen eine genaue Übersicht der wichtigsten erhaltenswerten Grabstellen in Dresden erstellen und diese Liste künftig im Zwei-Jahres-Rhythmus aktualisieren.

Weber, CDF, Ardenne: Gräber sind wie ein Archiv der Stadtgeschichte

„Dresden ist reich an historisch bedeutenden Gräber, die wie ein Archiv der Stadtgeschichte sind“, erklärte Eva Jähnigen den Hintergrund dieser Initiative. Diese Grabstellen zeugen von Wissenschaftlern, Künstlern, Architekten, Bildhauern, Unternehmern, Politikern und anderen Menschen, die Dresden mitgeprägt haben. Einige von ihnen gaben gar Weltruhm erlangt wie etwa der Maler Caspar David Friedrich, der Erfinder Manfred von Ardenne oder der Komponist Carl Maria von Weber.

Die Mutter mit dem kleinen Kinde schmückt die Ruhestätte der Familie Schwarz auf dem Johannisfriedhof Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Mutter mit dem kleinen Kinde schmückt die Ruhestätte der Familie Schwarz auf dem Johannisfriedhof Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Stadtrat stockt Gräberzuschüsse auf

Und mit dieser Argumentation hat Jähnigen auch den Stadtrat überzeugen können, die jährlichen Zuschüsse für dass Friedhofskonzept von rund 20.000 auf 91.000 Euro aufzustocken. In der Praxis erhöht sich dadurch die Pflegepauschale für Schlüsselgräber von bis zu 150 auf bs zu 400 Euro im Monat. Außerdem wollen sich Friedhofsbetreiber und Stadt um weitere Denkmalschutz-Zuschüsse vom Bund und von Stiftungen bemühen.

Auch die Familie Ahrenfeldt wählte den trauerenden Engel als Motiv für ihre letzte Ruhestätte auf dem Johannisfriedhof Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch die Familie Ahrenfeldt wählte den trauerenden Engel als Motiv für ihre letzte Ruhestätte auf dem Johannisfriedhof Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Grabpaten gesucht – ein Hauch von ewigem Promi-Glanz winkt

„Und wir brauchen noch viel mehr Grabpaten“, ergänzt Amtsleiter Thiel. Ohne solch bürgerschaftliches Engagement werde es für die Friedhofsbetreiber immer schwerer, für den Erhalt aller geschichtlich und künstlerisch bedeutsamen Gräber zu sorgen. Neben der Ehre und der Anerkennung im Jetzt und Heute erwartet die Grabpaten übrigens auch ein kleiner Bonus für die Ewigkeit: Engagierte Paten können sich unter Umständen im unterstützten Familiengrab beisetzen lassen – auf dass ein wenig Promi-Glanz berühmter Namen auf sie für immer abstrahlen möge.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch Johannisfriedhof, LHD, Wikipedia

Zum Weiterlesen:

Friedhof Striesen: Die Griechin trauert

Grafik: M. Arndt
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