Dresden repariert Blaues Wunder

Fuchs-Arbeiter haben am letzten Februartag 2022 damit begonnen, Gerüste für die sandstrahlenden Kollegen unterm Blauen Wunder in Dresden zu bauen. Foto: Heiko Weckbrodt

Fuchs-Arbeiter haben am letzten Februartag 2022 damit begonnen, Gerüste für die sandstrahlenden Kollegen unterm Blauen Wunder in Dresden zu bauen. Foto: Heiko Weckbrodt

Sanierung soll 2030 beendet sein und könnte 126 Millionen Euro kosten

Blasewitz/Loschwitz, 28. Februar 2022. Bauarbeiter sanieren seit heute im kommunalen Auftrag die Loschwitzer Brücke, gemeinhin wegen ihrer Farbe als „Blaues Wunder“ von Dresden bekannt. Die schon lange avisierten Reparaturen werden sich bis 2030 hinziehen und voraussichtlich 96 und 126 Millionen Euro kosten – je nach Bautempo und Entwicklung der Materialpreise. Das haben Baubürgermeister Stephan Kühn (Bündnisgrüne) und die Leiterin des Straßen- und Tiefbauamtes, Simone Prüfer, heute bei einem Vor-Ort-Termin am Café „Toscana“ angekündigt.

Dem „Wahrzeichen im Elbraum“ droht ohne Reparatur ein „Substanzverfall“

„Das Blaue Wunder ist ein Wahrzeichen im Elbraum, welches wir für die kommenden Jahrzehnte fit machen wollen“, erklärte Bürgermeister Kühn. „Ohne diese umfassende Sanierung würde ein Substanzverfall eintreten. Aufgrund der Bedeutung der Loschwitzer Brücke im Verkehrsnetz können wir uns diesen nicht leisten.“

Infovideo der LH Dresden
über das Blaue Wunder:

Bald nur noch zwei Fahrspuren und ein Gehweg

Im ersten Schritt bauen Arbeiter der Firma „Fuchs“ aus Hainichen unter der Brücke Gerüste auf, bespannen sie mit Planen und strahlen die alte Schutzfarbe ab. Schrittweise bringen sie dann einen neuen blauen Korrosionsschutz auf. Später erneuern sie auch die verschlissenen stählernen Schwingungsbremsen sowie die Fahrbahnübergänge am Bauwerk. Ab Mai engt Fuchs dafür die Fahrbahn zeitweise auf zwei Spuren und einen Fußweg auf stromabwärtigen Seite ein. In den Sommerferien steht vom 25. Juli bis 19. August 2022 sogar eine Vollsperrung an. Dann dürfen nur noch Fußgänger das Blaue Wunder passieren. Dieser erste Bauabschnitt soll im Oktober 2022 abgeschlossen sein und rund 2,4 Millionen Euro kosten.

Landeskonservator Alf Furkert (links) übergibt Baubürgermeister Stephan Kühn (rechts) eine symbolische Zusage über eine Million Euro, mit denen sich die Landesdenkmalpfleger an der Sanierung des Blauen Wunders beteiligen wollen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas (r.) meint: Ohne Landeshilfe wird Dresden die Brücke nicht komplett sanieren können. Foto: Heiko Weckbrodt

Landeskonservator Alf Furkert (links) übergibt Baubürgermeister Stephan Kühn (rechts) eine symbolische Zusage über eine Million Euro, mit denen sich die Landesdenkmalpfleger an der Sanierung des Blauen Wunders beteiligen wollen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas (r.) meint: Ohne Landeshilfe wird Dresden die Brücke nicht komplett sanieren können. Foto: Heiko Weckbrodt

Finanzierung aus mehreren Quellen

Dass die fast 130 Jahre alte Brücke sanierungsbedürftig ist, ist schon länger bekannt. Auch als der Bau der Waldschlösschenbrücke debattiert wurde, spielte das Argument, eher oder später müsse das Blaue Wunder repariert und/oder gesperrt werden, bereits eine Rolle. Dass es nun endlich losgeht, ist mehreren günstigen Umständen zu verdanken: Der Stadt winken 13 Millionen Euro Fördermittel. Die Stadtbezirksbeiräte Blasewitz und Loschwitz steuern insgesamt 150.000 Euro aus ihren Lokalkassen dazu. Und eine weitere Million hat Landeskonservator Alf Furkert aus dem sächsischen „Sonderprogramm Denkmalpflege“ für die Brücke akquiriert.

Denkmalpfleger entdecken „Wunder-Blau“ wieder

Zudem haben die Landesdenkmalpfleger auch Glück gehabt und endlich eine Probe des originalen, blaugrauen Brückenanstrichs von 1893 entdeckt. Ein Name dazu war zwar nicht vermerkt, aber Furkert hat die Farbe kurzerhand „Wunder-Blau“ getauft. „Die Loschwitzer Brücke ist als ein unverwechselbares und ortsbildprägendes Kulturdenkmal von technikgeschichtlicher, städtebaulicher und landschaftsgestaltender Bedeutung“, begründete er das Engagement seiner Behörde für die Dresdner Stahlbrücke.

So stellt sich der ADFC die künftige Spuraufteilung auf dem Blauen Wunder vor. Foto: ADFC

So stellt sich der ADFC die künftige Spuraufteilung auf dem Blauen Wunder vor. Foto: ADFC

ADFC will eine Autospur in Raspuren verwandeln

Die hat im Übrigen nicht nur ein neues Blau nötig: Voraussichtlich Mitte der 2020er Jahre müssen die Arbeiter auch die Ankerkammern mit den darin hängenden Gegengewichten sanieren, die Pylone sanieren, die Fahrbahndecken erneuern und dergleichen mehr. Zudem möchte der grüne Baubürgermeister auch die Verkehrsführung auf der Brücke zugunsten der Fahrradfahrer ändern: Bisher fahren Radler entweder legal auf der Fahrbahn oder illegal auf dem Gehweg – und beide Varianten bergen Konfliktstoff. Er verweist auf einen 20 Jahre alten Stadtratsbeschluss, der bereits eine bessere Lösung für die Radfahrer gefordert hatte. Der „Allgemeine Deutsche Fahrradclub“ (ADFC) in Dresden möchte dafür gerne eine der beiden Autofahrspuren in Richtung Schillerplatz wegrationalisieren und daraus zwei Radspuren machen.

„Quadratur des Kreises“

Angesichts der starken Verkehrsströme auf der Brücke (rund 25.000 Fahrzeuge pro Tag) und der Rückstaus bis zum Körnerplatz, die es jetzt schon in Spitzenzeiten gibt, zögert jedoch auch Kühn, diesem Verlangen nachzukommen. Eine ausgewogene Lösung zu finden sei hier so wie die „Quadratur des Kreises“, meint er mit Blick auf die widerstreitenden Interessen, die auf dem Bauwerk lasten.

Die stählerne Loschwitzer Brücke überspannt die Elbe in einem Zug - ohne Pfeiler im Fluss. Auch dies trug ihr - neben der Schutzfarbe - den Namen "Blaues Wunder" ein. Rechts daneben ist der Schillergarten zu sehen. Foto: Heiko Weckbrodt

Die stählerne Loschwitzer Brücke überspannt die Elbe in einem Zug – ohne Pfeiler im Fluss. Auch dies trug ihr – neben der Schutzfarbe – den Namen „Blaues Wunder“ ein. Rechts daneben ist der Schillergarten zu sehen. Foto: Heiko Weckbrodt

Einst ähnlich geschmäht wie die Waldschlösschenbrücke

Streit um die Brücke gab es übrigens auch schon – ähnlich wie ein Jahrhundert später bei der Waldschlösschenbrücke – beim Bau der Brücke, die ab 1893 die „zwei romantischen Fischerdörfer“ Loschwitz und Blasewitz verband, so Denkmalschützer Furkert. Es gab Bürgerpetitionen gegen das von Claus Koepcke entworfene Bauwerk. Im Jahr 1900 kritisierte der Dresdner Hochschullehrer Georg Christoph Mehrtens die „reizlosen Umrisse“ der Brücke, die „in ästhetischer Beziehung wenig befriedigend“ ausgefallen sei. 30 Jahre später forderte Loschwitzer Architekt Karl Emil Scherz gar einen Abriss der Eisenkonstruktion zugunsten einer flachen Betonbrücke.

Heute gilt Blaues Wunder als Wahrzeichen von Loschwitz

Über die Dekaden änderte sich dieses Verdikt allerdings völlig: Wegen der blauen Farbe, der faszinierenden Stahlnieten-Konstruktion im Fachwerk-Stil und der 140 Meter langen Spannweite ohne Flusspfeiler bürgerte sich der Name „Blaues Wunder“ für die Brücke ein. Heute gilt sie als eines der wichtigsten Wahrzeichen von Loschwitz. Für eine schnöde Betonbrücke plädiert schon längst niemand mehr. Zudem steht sie längst unter Denkmalschutz. Aus diesem Grund ist allerdings auch kein Anbau zusätzlicher Radspuren aus leichtem Karbonbeton à la Carolabrücke möglich. Die beiden Gehwege sind allerdings gar nicht original, sie wurden erst 1935 angebaut.

Letzte Sandstrahlung in der Wendezeit

Die letzten größeren Reparaturen liegen mittlerweile auch schon wieder drei Dekaden zurück: In zwei Schüben von 1988 bis 1990 und von 1991 bis 1993, hatten Arbeiter die Stahlkonstruktion mit Sand abgestrahlt und neu gestrichen – wobei der Farbton vor und nach der Wende unterschiedlich ausfiel. Zuletzt brachten Handwerker noch die beiden Gehbahnen außerhalb der Brücke in den Jahren 2016 und 2017 sowie 2019 und 2020 in Ordnung. Im Übrigen wird der weitere Sanierungsfortschritt auch stark davon abhängen, wieviel Fördergelder die Stadt in den kommenden Jahren bei Land, Bund und anderen Quellen auftun kann. „Der Freistaat muss das Blaue Wunder weiter unterstützen“, forderte der SPD-Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas zum Sanierungsstart. „Die Stadt allein kann das nicht schaffen.“

Das Blaue Wunder im Kurzüberblick:

  • Offizieller Name: Loschwitzer Brücke
  • Bauzeit: 1891-93
  • Entwurf: Claus Koepcke
  • Material: Stahl
  • Bauweise: versteifte Hängebrücke
  • Länge: 280 Meter (140 Meter zwischen den beiden Uferpfeiler
  • Höhe: zwei Pylone mit je 32 Metern
  • Gegengewichte: je 1500 Tonnen in Ankerkammern

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: LHD, ADFC, Oiger-Archiv, Wikipedia

Grafik: M. Arndt
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