Risografie zwischen Lurch und Libelle

Andreas Kempe neben dem Kunstpavillon auf "Parzelle 3". Foto: Heiko Weckbrodt

Andreas Kempe neben dem Kunstpavillon auf „Parzelle 3“. Foto: Heiko Weckbrodt

Immer mehr Künstler wollen im Kleingarten ausstellen – Kunsthaus zeigt nun Kempe-Werke in der Striesener „Flora“

Striesen, 1. Oktober 2021. Immer mehr Dresdner Künstler wollen ihre Werke nicht nur in statischen Galerien, sondern in der stetig mutierenden Natur einem breiten Publikum präsentieren. Viele stehen in einer längeren virtuellen Warteschlange an, um in der „Parzelle 3“ in Striesen ausstellen zu dürfen – einer Außenstelle des Kunsthauses Dresden in der Kleingartenanlage „Flora 1“ an der Bergmannstraße. „Die Resonanz ist groß und wir haben schon einen Rückstau der Künstler für diese Parzelle“, berichtet Kunsthaus-Direktorin Christiane Mennicke-Schwarz. Nun ist jedenfalls erst mal Andreas Kempe an der Reihe: Unter dem Titel „Es war nicht alles zu sehen“ zeigt er seit heute in der Sparte künstlerisch verarbeitete Exponate aus dem riesigen Naturarchiv seines Vaters Reinhard Kempe.

Als Kinder mussten wir immer das Leuchtmoos suchen

Hintergrund: Als Biologe hatte Kempe senior zwischen 1960 und 2000 über 15.000 Dias und andere Aufnahmen von Insekten, Pflanzen und Moose gesammelt und daraus ein immenses Natur-Archiv aufgebaut. „Als Kind bin ich bei diesen Ausflügen oft dabei gewesen“, erinnert sich Andreas Kempe. Er bekam dann die Aufgabe, das geheimnisvolle Leuchtmoos zu suchen, das in dunklen Höhlen schimmert. „Tatsächlich habe ich das Leuchtmoos schließlich gefunden“, sagt er – die Suche nach dem Besonderen in der komplexen Natur habe ihn seither nicht mehr losgelassen.

Vater Biologe, Sohn Künstler – und das Naturarchiv als Band

Dennoch schlug Andreas Kempe einen anderen Lebensweg als der Vater ein, wurde nicht Naturforscher, sondern studierte Malerei, Grafik und „übergreifendes künstlerisches Arbeiten“ an der Hochschule für bildende Künste in Dresden. Diese Entscheidung habe seinen Vater zunächst etwas irritiert, erzählt Kempe junior. Letztlich habe sich daraus aber ein neues verbindendes Band entwickelt.

Andreas Kempe hat die Moose seines Vaters risografiert. Als detailreduzierte Reproduktion eignen sie sich nun bestens zum freien Assoziieren. Repro: Heiko Weckbrodt

Japanische Repro-Technik Risografie transformiert Moose in Kontinente und Rorschach-Assoziationen

So reproduzierte er beispielsweise Dutzende Moosproben aus dem Archiv seines Vaters als „Risografien“. Diese ganz eigene japanische Reprotechnik erzeugt vereinfachte Kopien, die reduzierten Siebdrucken ähneln. Solcherart risografierte Moose muten an wie Kontinente oder asymmetrische Rorschach-Faltbilder. Gleich daneben sind Libellen, Käfer und andere Insekten aus dem Kempe-Naturarchiv ausgestellt. „Mein Vater ist inzwischen ganz gerührt, wie ich mich mit seinem Archiv beschäftige und es anderen zugänglich mache.“

Auf der Parzelle 3 der Kleingartensparte "Fora 1" in Striesen hat das Kunsthaus Dresden eine Außenstelle für Ausstellungen eingerichtet. Foto: Heiko Weckbrodt

Auf der Parzelle 3 der Kleingartensparte „Fora 1“ in Striesen hat das Kunsthaus Dresden eine Außenstelle für Ausstellungen eingerichtet. Foto: Heiko Weckbrodt

Insekten und Lurche erheben ebenfalls Anspruch auf Parzelle 3

Die Sonderschau „Es war nicht alles zu sehen“ ist bereits die zweite Ausstellung in der Gartensparte Flora 1 an der Bergmannstraße. Insofern mutiert die „Parzelle 3“ zu einer zwar experimentellen, aber doch stetigen Kunsthaus-Außenstelle. Wenige Schritte weiter finden sich weitere, feste Installationen hiesiger Künstler. „Wir brauchen ein Umdenken“, skizziert Kunsthaus-Chefin Mennicke-Schwarz die Motive ihres Teams für diesen Schritt hinaus in die human-kultivierte Natur. Das klassische Galeriekonzept einer streng kontrollierten Umgebung für unveränderliche Kunstobjekte müsse überdacht werden. So kam es dann eben, dass die Galeristen im Corona-Herbst 2020 eine Parzelle in der Striesener „Flora“ übernahmen und dort einen freistehenden Ausstellungs-Pavillon installierten. Zuletzt hat Andreas Kempe für seine Exposition noch eine Art Beobachtungszelt dazu aufgespannt. Derweil hat die sublokale Flora und Fauna diesen Ort der Kunst bereits teilweise der Natur wieder einverleibt: Rings um den Pavillon wuchern Pflanzen, während es sich Insekten und Lurche unter den groben Gartensteinen gemütlich machen.

Sparte richtet auch dezentrale Garten-Konzerte aus

Auch bei menschlichen Besuchern stößt die Kunst im Kleingarten auf interessierte, gelegentlich auch ambivalente Resonanz. „Das Publikum nimmt das an“, berichtet „Flora“-Vorsitzender Sven-Karsten Kaiser. Zu fast jeder Tageszeit sind auf der Parzelle 3 Kleingärtner, Kunstinteressierte von außerhalb oder auch Zufallsbesucher zu finden. Der künstlerische Impetus hat inzwischen große Teile der Sparte erfasst. Inspiriert von den Hochhauskonzerten der „Dresdner Sinfoniker“ intonierten Musiker und Kleingärtner erst kürzlich ein dezentrales Konzert, zu dem jede Parzelle beitragen konnte.

Installation als illegalen Brennholzstapel missverstanden?

Allerdings ist zeitgenössische Kunst nicht jedermanns und jederfraus Sachse, dessen sind sich Kunsthaus-Team und Spartenvorstand bewusst. Nachdem zum Beispiel Olaf Holzapfel seine mannshohe Holzplastik im Blockhaus-Stil in der „Flora“ aufgestapelt hatte, gab es verärgerte Reaktionen, erzählt Kaiser: „Beim Anblick der Baumstämme haben manche gefragt: ,Warum dürfen die da Brennholz stapeln und wir nicht?’“ Aber womöglich war das auch nur ein Gärtnerscherz…

Weg vom Kleingarten-Klischee mit Gartenzwerg und Deutschlandfahne

Doch gerade diese fortwährend neuen künstlerischen Offensiven in der Sparte bauen nach des Kaisers Meinung gegenseitige Vorurteile ab – sowohl die vorgefassten Meinungen einiger Kleingärtner über moderne Kunst wie auch die Klischees, die manch Künstler womöglich im Kopf hat: „Als die Musiker hörten, sie sollen hier in einer Kleingartenanlage spielen, waren manche skeptisch, weil sie mit Gartenzwergen und Deutschlandfahnen gerechnet haben.“ Mit Parzelle 3, den verstreuten Kunstinstallationen und anderen Details hätten die Kleingärtner dieses Bild aber geraderücken können.

Blick auf die Insekten-Leuchtkästen im Kunsthaus-Pavillon "Parzelle 3". Foto: Heiko Weckbrodt

Blick auf die Insekten-Leuchtkästen im Kunsthaus-Pavillon „Parzelle 3“. Foto: Heiko Weckbrodt

Kurzüberblick:

  • Was? Kunstausstellung „Es war nicht alles auf einmal zu sehen / There was no seeing everything at once“ mit Insekten-Leuchtkästen und Moos-Lisografien von Andreas Kempe
  • Wann? 1. Oktober 2021 bis 13. März 2022
  • Wo? „Parzelle 3“ (Außenstelle des Kunsthauses Dresden), Kleingartenanlage „Flora 1“, Bergmannstraße 39, Dresden-Striesen
  • Eintritt: frei (um Schonung der Pflanzen, Insekten und Kleingärtner wird gebeten)
  • Vernissage: 1. Oktober, 18-20 Uhr, mit Getränken und Imbiss

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Besuch, Auskünfte Andreas Kempe und Städtische Museen, KGA Flora, Kunsthaus Dresden

Grafik: M. Arndt
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