Programmkino Ost in Striesen: „Das Analoge lebt parallel zum Digitalen weiter“

Das Programmkino Ost: Erst durch den Umbau 2008/2009 enbtstand der Neubau mit der prägenden roten Fassade an der Schandauer Straße. Vorher verfiel dort eine geschlossene Gaststätte. Foto: Heiko Weckbrodt

Das Programmkino Ost: Erst durch den Umbau 2008/2009 enbtstand der Neubau mit der prägenden roten Fassade an der Schandauer Straße. Vorher verfiel dort eine geschlossene Gaststätte. Foto: Heiko Weckbrodt

Sven Weser und Jana Engelmann navigieren seit 22 Jahren das Programmkino Ost in Dresden geschickt durch die anspruchsvolleren Nebenarme des Zeitgeiststroms

Striesen, 22. Oktober 2020. Sicher hat jedes Filmtheater so seine Eigenheiten, aber das Programmkino Ost ist etwas ganz Besonderes an sich. Mal abgesehen vom cineastischen Portefeuille fängt das schon mit vielen kleinen Details an. Etwa die Zitate aus der Stadtgeschichte, die vor allem „Eingeborenen“ auffallen: Die Saalnamen sind Reminiszenzen an längst verflossene legendäre Dresdner Filmtheater. Oder die Gastronomie, die eher an ein provenzalisches Bistro erinnert als an das Abfüllfließband vieler Multiplexe. Statt Popcorn und XXL-Cola gibt es hier Wein, raschelarme „Fair Trade“-Snacks und manchmal – etwa zu den „Französischen Filmtagen“ – sogar Rillette-Häppchen. „Wir erkennen ganz gut, dass neben dem Stammpublikum jeden Tag auch neue Besucher unser Kino entdecken“, erzählt Jana Engelmann, die gemeinsam mit Sven Weser das PK Ost betreibt. „Wer nach Popcorn fragt, ist sicher zum ersten Mal da.“

Top-Adresse in Dresden für europäischen Autorenfilm

Vor allem aber gilt das Filmtheater als eine wichtige, wenn nicht sogar DIE Adresse schlechthin in der Stadt für den europäischen Autorenfilm, für Dokumentationen und besondere Leinwandjuwelen. „Da folgen wir dem Motto ,Weniger ist mehr’“, betont Sven Weser. „Wir lassen lieber auch mal was weg und zeigen nur die Filme, die wir richtig gut finden und von denen wir denken, dass sie unser Publikum wirklich interessieren.“

Sven Weser und Jana Engelmann leiten das Programmkino Ost seit der Wende. Foto: Heiko Weckbrodt

Sven Weser und Jana Engelmann leiten das Programmkino Ost seit der Wende. Foto: Heiko Weckbrodt

Über 170.000 Filmfreunde pro Jahr – dann kam Corona

Und die Besucher goutieren diese cineastische Feinkostauswahl. Pro Jahr kommen 170.000 bis 180.000 Filmfreunde ins PK Ost – die meisten aus Striesen und Umgebung, manche aber auch von weiter her, aus Radeberg, Radebeul, aus dem Erzgebirge und sogar Hoyerswerda oder Senftenberg. „Manche Filme gibt es eben nur exklusiv bei uns“, erklärt sich das Weser. „Gerade die von weiter her rufen oft vorher an und reservieren extra Karten für den Film“, ergänzt Jana Engelmann. „Manche fragen uns auch erst mal telefonisch aus: Erzählen Sie mal, was zeigen Sie heute? Worum geht es in dem Film?“

Bequemlichkeit eines Multiplex, aber mit Arthouse-Programm

Das gehört eben auch zum besonderen Flair des PK Ost: Auf der einen Seite moderne Technik, die man sonst eher aus Multiplexen gewohnt ist: Digitalprojektoren und Raumklang-Tontechnik, Ticketverkauf per Internet oder Sesselrampen für bessere Sicht. Auf der anderen Seite freut sich der aufmerksame Besucher über restaurierte Stuck-Elemente an der Decke, ein sehr persönliches Ambiente und Kinomenschen, die sich für ihre Besucher auch Zeit nehmen. „Das Analoge lebt parallel zum Digitalen weiter“, skizziert Weser diesen hybriden Charakter.

Mit 1 Saal hätten wir auf Dauer nicht überleben können

Es komme eben darauf an, rechtzeitig zu erkennen, wenn man etwas ändern muss, versucht er zu umschreiben, wie das PK Ost seit der Übernahme 1998 durch viele schwierigen Fahrwasser manövrieren konnte. Da war zum Beispiel der Um- und Ausbau 2008/9, für den Weser und Engelmann einen Teil des Unternehmens an die Yorck-Gruppe abtraten und Kredite aufnahmen, die bis heute nicht ganz abgezahlt sind. Doch seitdem können sie eben fünf Säle gleichzeitig bespielen statt nur einen. „Das war ein längerer Prozess bis zu dieser Entscheidung“, erzählt Weser. „Aber wir haben letztlich erkannt, dass wir bei der Kinokonkurrenz in Dresden mit nur einem Saal auf Dauer nicht überleben können.“ Das unternehmerische Risiko hat sich letztlich ausgezahlt: Das PK Ost hat enorm an Reputation und Resonanz gewonnen, kann seither auch mehr Premieren und Sonderveranstaltungen ausrichten.

„Viele Leute haben wegen Corona Angst, ins Kino zu gehen“

Und dann kam Corona: Zwar haben die meisten Dresdner Kinos ab Juli schrittweise wieder geöffnet und so auch das Programmkino Ost. Doch weil es in den meisten anderen Bundesländern weiter nur einen Kino-Notbetrieb gibt, lohnen sich für die Verleiher keine großen bundesweiten Filmstarts. „Das Programm ist nicht schlecht, aber es fehlen die richtig publikumsstarken Filme“, sagt Weser. „Und viele Leute haben wegen Corona immer noch Angst, ins Kino zu gehen“, erklärt Engelmann ein weiteres Problem der Branche. All dies hat dazu geführt, dass sich die Besucherzahlen im PK Ost glatt halbiert haben. Ohnehin können wegen der Anti-Seuchenregeln nur noch höchstens 75 Prozent der Plätze besetzt werden. Ein gewinn- oder auch nur kostendeckender Kinobetrieb sieht anders aus.

Publikumstreue hilft

Übergangsweise haben Kredite und staatliche Zuschüsse geholfen, auch setzte die Sparkasse vorübergehend den Schuldendienst für den Umbau-Kredit aus. „Das hat sehr geholfen“, sagt Weser. „Außerdem haben wir ein sehr treues Publikum. Das hat uns in der Corona-Zeit sehr mit Spenden und Gutschein-Käufen unterstützt.“ Dauerlösungen seien dies natürlich nicht.

Krisenplan: Mehr Sonderveranstaltungen, besserer Sound, größerer Weingarten

Deshalb haben die Betreiber unter anderem das Sonderveranstaltung-Programm ausgeweitet. Dazu gehört eine Reihe „Filme vom Abschied“, gemeinsam mit dem Hospiz-Landesverband ausgerichtet, oder „Tanz in Filmen“ zusammen mit der Semperoper, eine Doppelpremiere von „Die Rüden“, die für zwei mit Hundefreunden gefüllten Säle sorgten, aber auch Klassiker wie die Jüdischen und die Tschechischen Filmtage. „Solche Sonderveranstaltungen sind aufwendig, ziehen aber auch viele Besucher an“, erklärt Engelmann. Die Beiden wollen zudem den Weingarten hinter dem Kino komfortabler auszubauen, den Café-Betrieb auch für Nicht-Kinogänger ankurbeln, die Tonanlagen modernisieren und an anderen Stellschrauben drehen, um wieder mehr Menschen ins PK Ost zu locken.

„So wie früher wird es wahrscheinlich nie mehr“

Filmtheater-Chef Sven Weser

Doch ob alles jemals wieder alles gut wird? So wie vor Corona? Weser zuckt unschlüssig die Schultern. „Ich weiß es nicht. Wenn Corona irgendwann mal durch ist und uns dann nicht mehr als zehn oder 15 Prozent unserer Besucher fehlen, wird es uns zumindest nicht das Genick brechen. Aber so wie früher wird es wahrscheinlich nie mehr.“

Denn schon vor der Pandemie hatten die Kinos mit der Konkurrenz durch Heimkino, Raubkopien im Internet und legalen Videostrom-Diensten zu kämpfen. Die Seuche und der Ausnahmezustand waren für die Branche wohl eher Katalysatoren als die eigentlichen Problemursachen.

Kein Streaming kann Kino ersetzen

Die PK-Ost-Macher glauben aber fest daran, dass Kino Zukunft hat: „Das Bedürfnis, gemeinsam Kultur und eben auch Kino und Theater zu erleben, wächst wieder“, ist Engelmann überzeigt. „Kein Streaming daheim kann dieses Gemeinschaftserlebnis ersetzen.“

Kurzüberblick:

  • Unternehmen: Programmkino Ost GmbH
  • Branche: Filmtheater
  • Spezialitäten: Arthouse, europäische Autorenfilme, Dokumentationen, Kinderfilme
  • Besucher: 176.000 (2019)
  • Umsatz: 1,5 Mio. Euro (2019)
  • Belegschaft: 22 Mitarbeiter (inkl. Minijobber, Aushilfen, Studenten)
  • Gründung: 1936
  • Besitzer: Ursprünglich Ballsaal einer Gaststätte, gehörte das Kino Ost zu DDR-Zeiten zur Bezirksfilmdirektion Dresden, nach der Wende war es erst Teil der Nickelodeon-Gruppe, nach deren Zerfall übernahmen ab 1998 Sven Weser und Jana Engelmann das Haus. Seit 2007 ist die Yorck-Gruppe Berlin beteiligt.
  • Mehr Infos im Netz: programmkino-ost.de

Autor: Heiko Weckbrodt

Grafik: M. Arndt
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